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Haben Sie heute schon ein Stück Amazonien gegessen?1964 bis 2004: Rinderbestand wuchs in Amazonien von 1,5 Millionen auf 60 MillionenAls brasilianischer Bürger weigere ich mich zu akzeptieren, dass die brasilianische Bundesregierung in meinem Namen Genehmigungen zum Abholzen des Amazonasgebietes erteilt. Und Sie, akzeptieren Sie das? Ich erteile keine Genehmigung, die dazu führt, dass öffentliche Gelder aus staatlichen Banken für die Viehzucht im Amazonasbecken bereitgestellt werden. Und Sie, akzeptieren Sie das? Sind Sie und ich bloß 'Herdentiere" oder selbstbewusste Bürger? Glauben Sie, dass die Art und Weise, wie Sie leben, sich ernähren, sich benehmen, wohnen, reisen, beschenken und abstimmen, unmittelbar mit Amazonien zu tun hat? Wenn Sie dies bejahen können, wären Sie damit einverstanden zu prüfen, ob Sie Amazonien 'mitaufessen" oder nicht? Wissenschaftliche Studien und Berichte von Umweltschützern werden in ihren Aussagen immer kategorischer: wir können es uns nicht leisten zu warten, dass die Menschen sich von der gravierenden Situation Amazoniens überzeugen lassen. Es wird zu spät sein, bis dass sich Großgrundbesitzer, Goldsucher, Holzhändler, Beamte, Regierungsvertreter, Amtsträger und die Gesellschaft im Allgemeinen dieses Problem bewusst machen. Bis dahin werden wir den größten Teil der Amazonas-Tropenwälder verloren haben. Die Fakten Fünf Jahrhunderte sind vergangen, und 95 Prozent der indigenen Völker Amazoniens verschwunden. Ganze Ethnien wurden durch Krankheiten und Versklavung sowie durch von Europäern mitgebrachte Waffen ausgerottet. Die ca. 180 in Brasilien übrig gebliebenen Indio-Völker, die insgesamt gut 200.000 Menschen umfassen (ein Prozent der Gesamtbevölkerung Amazoniens), finden kaum Verbündete unter den vielen Beamten und Organisationen der Zivilgesellschaft beim Kampf gegen Goldsucher, Wilderer, Holzdiebe und illegale Landbesetzer. Unter sozialem Aspekt ist das Amazonasgebiet eine Region, die eines der größten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Missverhältnisse in der ganzen Welt aufweist. Dort grassiert auch die größte Gewaltbereitschaft in ganz Brasilien, denn im Amazonasraum sind zum einen sowohl die meisten Todesopfer infolge von Landkonflikten als auch die höchste Anzahl von versklavten Arbeitern in Viehzuchtfarmen zu verzeichnen, und zum anderen herrscht in den amazonischen Stadtgebieten eine große Unsicherheit. Aus diesen Gründen sind die 23 Millionen dort lebenden Menschen sehr weit davon entfernt, von der dort herrschenden Artenvielfalt und Ethnodiversität, von den lokalen Kulturreichtümern und von der Holz- bzw. Erzproduktion zu profitieren. Laut UN-Berichten liegt Amazonien beim Human Development Index in einem Rang, der vergleichbar ist mit dem der ärmsten Gegenden der Welt. Im Umweltbereich wird hier jedes Jahr das prächtigste Feuerwerk der Welt hervorgebracht, indem zur Schaffung von Weiden immer mehr Wälder abgebrannt werden. Aufgrund von Abholzung und Brandrodung im Amazonasgebiet zählt Brasilien international zu den Hauptproduzenten der klimaschädlichen Treibhausgase. Die dadurch verursachten Klimaveränderungen sind nicht rückgängig zu machen. Was die Biodiversität anbelangt, sind über ein Fünftel der Pflanzen- und Tiervielfalt unseres Planeten im kontinentalen Amazonien (ca. 4 Prozent der Gesamtfläche der Erde) beheimatet. In den besonders gefährdeten Gebieten, wie etwa in der Umgebung der Großstadt Belém, sind ein Viertel der Vögel vom Aussterben bedroht. Dabei steht fest: ist eine bestimmte Vogelart ausgestorben, dann ist sie für immer ausgestorben. Was unsere Umwelt angeht, wurde im Zeitraum vom Jahre 1500 bis 1964 weniger als 1 Prozent der Gesamtfläche Amazoniens abgeholzt. In den letzten 40 Jahren hingegen wurden ca. 16 Prozent der amazonischen Tropenwälder gerodet: dies entspricht einer Fläche, die zweimal größer ist als Deutschland (oder dreimal größer als der brasilianische Bundesstaat São Paulo). Diese Fläche von 750.000 km2 ist zweimal so groß wie die gesamte Ackerbaufläche Brasiliens. Der besonders traurige Aspekt dabei ist, dass ein Viertel der gerodeten Gebiete unbestellt bleiben, denn oft ist das alleinige Ziel der Abholzung, die Ländereien in Besitz zu nehmen und sich als Großgrundbesitzer zu behaupten. Zur Zeit verlieren wir jährlich ca. 24.000 km2 Wälder, d.h. jedes Jahr wird eine Fläche gerodet, die so groß ist wie zwei Drittel Belgiens (oder 2/3 des brasilianischen Bundesstaats Sergipe) ist. Jedes Jahr verlieren wir also ungefähr 1 Prozent der Fläche der übrig gebliebenen Tropenwälder des Amazonas. Vorausgesetzt, dass diese Entwicklung nicht gegengesteuert wird, werden wir in den nächsten 30 Jahren über die Hälfte dieser Fläche einbüßen. Auch dieses habe ich nicht genehmigt. Haben Sie es genehmigt? Von all diesen Symptomen wurde bisher lediglich das Fieber gemessen; die Krankheitserreger selbst sind aber noch nicht bekämpft worden. Fieber bei einem Patienten ist eine Erscheinung, die darauf hindeutet, dass etwas bei ihm nicht in Ordnung ist. Es ist nur ein Indiz. Die Zivilgesellschaft wird jedes Mal bestürzt, wenn die hohen Abholzungsraten im Amazonasgebiet publik gemacht werden; andererseits zeigt man wenig Interesse dafür, die eigentlichen Ursachen der zunehmenden Abholzung zu diskutieren. 'Die Großfarmer sind schuld!" - sagen die einen. 'Das liegt an der Erweiterung des Sojaanbaus!" - erwidern die anderen. Es liegt an dem Bau von Landstraßen, an der Unfähigkeit und Abwesenheit der öffentlichen Hand dort, an der zunehmenden Zahl von Großfarmen, an den Holzhändlern, Goldsuchern usw. Bleiben wir damit doch nicht bloß am Rande des Problems? Zeigen wir damit doch nicht lediglich die Folgen von fahrlässigen, unüberlegten, schließlich unverantwortlichen Handlungen, die wir tagtäglich begehen? Wir sind doch die Verantwortlichen! Ob wir die richtigen Fragen stellen? Wer ist für den größten Teil der Rodungen verantwortlich? Diese Frage ist leicht zu beantworten: die Viehzüchter im ländlichen Raum. Geht es dabei nur um Großfarmen? Nein, zu der Haupttätigkeit von kleinen und mittelständischen Bauern zählt die Rinder- und Büffelzucht. Und warum weitet sich die Viehwirtschaft im Amazonasgebiet aus? Mancher typische Farmer wird wohl so argumentieren: 'Weil es billiger ist, Fleisch in Amazonien zu produzieren, denn der Boden ist nicht viel wert, die Arbeitskräfte kosten nicht viel, und darüber hinaus gibt es wenig Überwachung seitens der umwelt-, arbeits- und steuerrechtlichen Behörden." Diese Antwort ist aber unbefriedigend. Denn das produzierte Fleisch hat ja einen Bestimmungsort. Und schlieβlich verzehrt irgendjemand dieses Erzeugnis. Die Angaben zeigen es deutlich: über 90% des im Amazonasgebiet produzierten Fleischs werden in Brasilien selbst verzehrt, der größte Teil davon in den einkommensstarken Regionen von Süd- und Südostbrasilien. Der Rindfleischverzehr verzeichnet weiterhin einen beträchtlichen Zuwachs, immer mehr Menschen möchten gerne ein Stück Rinderfilet oder Rumpsteak mit Genuss verspeisen. Im Zeitraum von 1964 bis 2004 wuchs der Rinderbestand in Amazonien von 1,5 Millionen auf 60 Millionen Tiere an, von denen ein Teil illegal gezüchtet wird. Die Anzahl der Rinder aus Amazonien, die geschlachtet werden, damit man seinen Appettit auf Rindfleisch befriedigt, macht ein Drittel des gesamten Rinderbestandes Brasiliens aus. Das heißt: drei Tiere pro Amazonas-Bewohner. In Brasilien gibt es somit mehr Schlachtrinder als Menschen! Im ländlichen Raum Amazoniens ist die Viehzucht die wichtigste wirtschaftliche Aktivität. Dabei geht es nicht nur um große und mittelständische Betriebe (d.h. rund 25.000 Familien mit Viehzuchtflächen über 500 Hektar). Im Amazonasgebiet hat der größte Teil der 400.000 ländlichen Kleinbetreibe in der Viehzucht ihre wichtigste Einkommensquelle. Dies hat verschiedene Gründe: die einen versagten bei sonstigen wirtschaftlichen Tätigkeiten, die anderen haben kein Verständnis für die amazonische Natur, und wieder andere sind völlig ungeduldig gegenüber dieser Natur und wollen sie lieber verkohlen als erhalten Vergessen wir nicht, dass man es in Brasilien meistens mit hohen Preisen zu tun hat. Und wenn die Kaufkraft der Brasilianer nicht so niedrig wäre, dann wäre der Rindfleischverzehr mindestens doppelt so hoch. Jeder Brasilianer isst am Tag durchschnittlich ein kleines Rindersteak (100 g) und im Jahr durchschnittlich 36 kg Rindfleisch. Ein Rind ergibt im Durchschnitt 240 kg Fleisch. Wenn ein brasilianischer Bürger, bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 72 Jahren, sein ganzes Lebens hindurch Rindfleisch isst, dann ergibt das ein Rind alle 6,6 Jahre und 11 ganze Rinder während seines Gesamtlebens. Das entspricht 2,6 Tonnen Fleisch! Von diesen 11 Rindern stammen mindestens 4 aus dem Amazonasraum, also isst jeder Brasilianer alle drei Tage ein Rindersteak aus Amazonien. Uns ist es klar, dass wir es dabei mit Durchschnittswerten zu tun haben. Der Endverbraucher aus der Mittelschicht und aus der gehobenen Schicht verzehren aber bis dreimal mehr Fleisch als hier statistisch angegeben, oder mit anderen Worten: 108 kg Rindfleisch pro Jahr. Dies entspricht einem mit 32 Rindern beladenen Lastwagen oder über 7,5 Tonnen Fleisch im ganzen Leben eines Brasilianers! Was kostet die Menschheit jedes Rindersteak? Das Beharren auf einem weltweiten Modell zur Bodennutzung, das die Viehzucht privilegiert, führt gleichzeitig zu Hunger und zu ungleichen Verhältnissen im ländlichen Raum überall in der Welt. Durch die Mengen an Wasser, Böden und sonstigen Ressourcen, die bei der Produktion eines Kilogramms Fleisch beansprucht werden, könnten mindestens 50 Menschen ernährt werden. Die expandierende Viehzucht ruft weltweit mindestens zwei Drittel der Abholzung der Tropenwälder hervor, die früher 16 Prozent unseres Planeten bedeckten. Heutzutage sind es lediglich 9 Prozent. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Tropenwälder weltweit insgesamt um 3 Prozent verringert. Aus welchen Gründen? Besonders deswegen, weil es Menschen gibt, die gerne Rindfleisch essen. Die Farmer stellen folgende Frage: 'Was kostet das Rindersteak auf Ihrem Teller?" Und folgende Frage sollte jeden Menschen überall in der Welt beunruhigen: 'Inwieweit muss sich die Menschheit aufopfern, damit Sie sich ein Rindersteak auf Ihrem Teller leisten könen?" Die Viehzüchter zählen eigentlich zu den schlimmsten Arbeitgebern in unserem Planeten. Das im ländlichen Raum Brasiliens herrschende Elend kann man in einem Satz zusammenfassen: die Viehwirtschaft hat die Menschen aus dem ländlichen Raum vertrieben. In einer großen Farm im Amazonasgebiet wird ein Arbeiter pro 700 Rinder eingestellt, was eine Fläche von 1000 Hektar ausmacht. In derselben Fläche könnten 100 mal mehr Direktarbeitsplätze geschaffen werden, und im Falle von forstlich-landwirtschaftlichen Betrieben nach dem Prinzip der Permakultur würden dort sogar 250 Menschen eine Stelle bekommen. Die Viehwirtschaft schafft kaum Einkommensmöglichkeiten für die Gegend, in der sie betrieben wird, denn fast alle Einnahmen werden aus der Region der Produktion transferiert. Die Insel Marajó im Bundesstaat Pará, mit einer Fläche fast so groß wie die Schweiz, ist nach knapp zweihundert Jahren Viehwirtschaft (Rinder- und Büffelzucht) zu einem der ärmsten Gegenden Amazoniens - und der Welt - geworden und liegt beim Human Development Index in einem mit Bangladesh vergleichbaren Rang. In der Ortschaft Chaves auf Marajó gehen ein Viertel der Kinder nicht in die Schule und 77 Prozent der Schulen verfügen über keinen elektrischen Strom. Viehwirtschaft schafft lediglich eine Einkommenskonzentration. Es gibt in Brasilien keinen Ort, in dem die Viehwirtschaft eine Entwicklung mit sozialer Gerechtigkeit gefördert hat. Hinzu kommt, dass viele Farmer mit diesem Geschäft reine Geldverluste haben. Weil viele mit den vier Rechnungsarten nicht vertraut sind, merken sie nicht, dass sie immer ärmer werden und dass sie ihren Kindern und ihren Kindeskindern wenig zu bieten haben werden. Wissenschaftlichen Studien des Forschungsinstituts IMAZON (Amazon Institute of People and the Environment) zufolge ist die Viehwirtschaft so ineffizient, dass die damit gewonnenen Einnahmen nicht höher liegen als die Zinssätze eines Sparkontos. Das heißt: für einen Viehzüchter wäre es viel gewinnbringender, seinen viehwirtschaftlichen Betrieb zu verkaufen und vom Ertrag seiner Geldanlagen zu leben. Warum entscheiden wir uns doch für die Rinder? Weil wir nicht denken können, weil wir nur so viel Gehirn haben wie die braven unschuldigen Rinder? Wir bedenken die praktischen Konsequenzen daraus nicht. Wir orientieren uns nur an der Vergangenheit und stellen nicht in Frage, ob das, was unsere Eltern und Großeltern gemacht haben, das Beste für uns, für unsere Familien und für die Menschheit gewesen ist. Die Menschheit trifft nicht immer die richtigen Entscheidungen, meistens sind es nichts als bequeme Lösungen, deren Folgen meistens nicht überdacht werden. Inzwischen sind wir aber in ein Dilemma geraten: entweder machen wir aus Amazonien eine riesige Weidelandschaft oder wir überlassen den künftigen Generationen den schönsten, artenreichsten Tropenwald der Erde. Die Entscheidung liegt ausschließlich bei jedem von uns. Fünfhundert Jahre Rückstand Vor dieser Verantwortung sollte keiner erschrecken. Brasilien ist aber Weltmeister in mangelnder Sensibilisierung für soziale und Umweltfragen, und schon am Beginn der brasilianischen Kolonialgeschichte ging die Viehwirtschaft Hand in Hand mit der Bodeninbesitznahme. Gleich nach der Ankunft der ersten Europäer in Brasilien wurden die ersten Rinder ins Land gebracht. Der Grippevirus, die Rinder, die Bibel und die Feuerwaffe haben schon damals diesen Subkontinent verändert - man kann aber nur schwer präzisieren, was eigentlich den größten Schaden verursachte. Als Eiweißlieferanten weisen Rinder äuβerst niedrige Energieeffizienz auf: nur 7 Prozent des Futters, das sie fressen, wird zu Schlachtfleisch. Mit ihren Hufen zerstampfen die Rinder den Weideboden, verursachen somit Bodenerosion und gefährden den Wasserkreislauf. Ferner ist der Rindfleischverzehr der menschlichen Gesundheit ebenfalls nicht zuträglich. Rinder gleichen einem Traktor, der rund um die Uhr in Betrieb ist. Rinder sollen nämlich den Hunger derjenigen stillen, die Hackfleisch, Hamburger und Geschnetzeltes essen wollen. Um die brasilianischen Wälder in die größte Weidefläche der Welt zu verwandeln, war es notwendig diesen Tieren Platz zu machen. Unsere Tropenwälder, die eine enorme Artenvielfalt besitzen, waren ursprünglich keine Futterquelle für Rinder. Aus Wäldern mussten aber plötzlich Weiden werden. Das Ableben der Natur in Brasilien könnte mit folgender Grabinschrift bedacht werden: 'zum Schlachtfleisch geworden". In 500 Jahren haben wir es geschafft, die insgesamt 1,5 Millionen Hektar atlantischer Wälder (Tropenwälder an der brasilianischen Küste) auf bloß 7 Prozent ihrer ursprünglichen Fläche zu reduzieren, die Caatinga (Dornbaumsavannen im semi-ariden Nordosten Brasiliens) auf weniger als 20 Prozent und die Cerrados (Savannen v.a. im Mittelwesten Brasiliens) auf weniger als 25 Prozent. Unglücklicherweise schreitet die Degradation der Naturwälder rapide fort. Anstatt die Produktivität in den Gegenden von Süd-, Mittelwest- und Südostbrasilien zu verbessern, die bereits in Weiden verwandelt worden sind, besteht man lieber darauf, neue Weiden im Amazonasgebiet anzulegen. Brasilien bleibt somit ein unverantwortlicher Staat in Sachen Produktivität der Viehwirtschaft. Von den insgesamt 850 Millionen Hektar Land in Brasilien sind rund 250 Millionen Hektar Weideland (30Prozent der Gesamtfläche des Landes). Davon liegen wiederum 30 Prozent in Amazonien - das macht 75 Millionen Hektar aus. Die Produktivität der Viehwirtschaft im Amazonasgebiet - 0,7 Tiere pro Hektar - ist lächerlich gering und symbolisiert die Unfähigkeit vieler, das amazonische Ökosystem in seiner Ganzheit zu verstehen, zu nutzen und zu pflegen. Es sei hier daran erinnert, dass in ganz Brasilien rund 50 Milionen Hektar für den Ackerbau genutzt werden. Wenn sich der Zuwachs der Weideflächen in diesem Tempo weiter fortsetzt, werden wir in zwei Jahrzehnten einen größeren Rinderbestand im Amazonasgebiet haben als den aktuellen Rinderbestand Brasiliens von insgesamt 170 Millionen Tieren. In Brasilien gibt es derzeit annähernd gleichviele Rinder wie Brasilianer. Fazit: Brasilien ist zu einer großen Viehweide geworden, und unser großer Beitrag für die Menschheit scheint zu sein, aus dem größten Tropenwald der Welt eine Grillwiese zu machen. Allerdings schmeckt das Fleisch nach Rauch, Gewalt und Artenausrottung. Obwohl die Militädiktatur Mitte der 80er Jahre zu Ende gegangen ist, herrscht in Amazonien weiterhin viel Angst, denn dort gelten das Gesetz des Stärkeren, die Macht der bewaffneten Großgrundbesitzer, die illegale Bodenbesetzung sowie Steueranreize für diejenigen, die sie im Grunde nicht benötigen. Dort hat das Sagen, wer eine Pistole und eine Motorsäge besitzt. Jedes Rind ist mehr wert als ein Menschenleben. Warum? Warum insistieren wir auf denselben Fehlern wie unsere europäischen Vorfahren, die 'Ochsenklauen" mit Fortschritt gleichsetzten. Die Rinder seien himmlisch, die Wälder teuflisch. Mit Stacheldraht versehene Zäune seien Fortschritt. Verkohlte Wälder seien Fortschritt. Das dumpfe Brüllen der Rinder sei Fortschritt. Vermessene und buchhalterisch erfasste Weidegegenden seien himmlisch. In Brasilien wird das Amazonasgebiet weiterhin als ein noch nicht erobertes Territorium betrachtet, als ein riesiges Bodenreservoir, das jederzeit in eine immense Weide verwandelt werden kann. Als eine unerschöpfliche Quelle von Holz, Fisch, Gold, Aluminium, Wasserkraft usw. Die öffentliche Hand und die meisten Unternehmer lassen 10.000 Jahre Zusammenleben mit dem Tropenwald außer Acht. Sie ignorieren einen allmählichen Lernprozess, der in all diesen Jahrtausenden stattfand, einen Entdeckungsprozess des Seins und des Lebens. In Brasilien werden die indigenen und die Mischlingsvölker als 'primitive", 'barbarische" und 'teuflische" Kulturen behandelt. Die Wälder, Räume des Unbekannten, des Unbeherrschbaren seien der Ort der Angst und der Dunkelheit. In den Wäldern steckten die unheimlichsten Dinge. Geht es hier nicht um eine Werteumkehr? Sind wir bereit, diesen Fehler zu erkennen? Oder wollen wir uns dessen weiterhin rühmen, dass wir den größten kommerziellen Rinderbestand der Welt haben? Dass unsere Rinder eigentlich 'grüne Rinder" sind, die nur Grünfutter fressen? Wollen wir uns weiterhin selbst betrügen? Wenn wir so weiter handeln, sind wir dann den kommenden Generationen gegenüber ehrlich? Wer ist bereit, sich für einen Prozess des Umdenkens für ein neues Brasilien einzusetzen? Sollen wir weiterhin die 'Herdentiere" von heute sein, die sich im Schnellimbisslokal hinsetzen und stillschweigend ihre Hamburger verschlingen? Die Herausforderung Es obliegt uns - und nur uns -, mit Scharfsinn und Effektivität einen neuen zivilisatorischen Pakt für das Amazonasgebiet vorzuschlagen, der zum Verringern des Drucks auf die indigenen Völker und die Umwelt führen kann. Die 23 Millionen Einwohner Amazoniens, die nach Konsum - einschließlich Eiweißverzehr - verlangen, benötigen rasche Antworten. Auch in Amazonien wird schließlich dreimal am Tag - zum Frühstück, zu Mittag und zu Abend - gegessen. Von dieser Einwohnerzahl leben 7 Millionen im ländlichen Raum, von denen ca. 2 Millionen in 30.000 traditionellen Gemeinschaften leben, d.h. mit nur unbefriedigendem Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie etwa Schulen, Krankenhäusern, Trinkwasserversorgung, Abwasserentsorgung, Strom und landwirtschaftlicher Fachberatung. Wäre es jetzt nicht doch höchste Zeit, dass wir von Zerstörern der Natur zu Vervollkommenern der Natur werden? Sind die 75 Millionen Hektar gerodeter Flächen in Amazonien (mehr als die gesamten Ackerbaugebiete in ganz Brasilien!) nicht doch genug, so dass wir unsere Aufmerksamkeit auf den produktiven Tropenwald richten können? Wäre es jetzt nicht doch höchste Zeit, dass wir nachhaltigskeits- bzw. permakulturorientierte Landarbeiter, Förster, Ökotouristenführer, Kunsthandwerker, zuverlässige Holzunternehmer, Wissenschaftler und Forscher mit den örtlichen Weisheiten vertraut machen? Sollen wir weiterhin bloße Zuschauer sein? Erlauben Sie mir eine Berichtigung: eigentlich sind wir mehr als Zuschauer, wir sind diejenigen, die diesen Prozesses beim Einkauf im Supermarkt und beim Verzehr eines Fleischspießchens wortlos finanzieren. Wir sind weit mehr als eine Herde Zuschauer mit hängendem Kopf: unsere Unwissenheit fördert die Ungerechtigkeit und die Zerstörung. Stillschweigend akzeptieren wir, dass alles weiter so bleibt, wie es ist. Praktische Maßnahmen für heute Bei dem jetztigen Stand der Dinge können Sie anfangen, Amazonien zu verändern. Ihre Entscheidung als Konsument hat weitreichende Auswirkungen auf das, was im Amazonasgebiet erzeugt wird. Auf individueller Ebene: - Wenn Sie Fleischesser sind, fragen Sie Ihren Metzger, woher das Fleisch stammt, dass Sie essen; dann werden Sie feststellen, ob es aus Amazonien stammt oder nicht. - Wenn Sie nicht in Brasilien leben, stellen Sie sich die Frage, ob es wirklich notwendig ist, dass Fleisch aus dem Amazonasgebiet oder aus anderen Tropenwaldregionen zu Ihnen kommen muss. (Sehr oft 'essen" Sie ein Stück Amazonien in Form von Soja mit, das nicht unmittelbar von Menschen verzehrt, sondern als Futter für Schweine, Hühner und Kühe verwendet wurde.) Auf Bundesebene: - Welche Maßnahmen kann die brasilianische Regierung (etwa in Form von Verordnungen) ergreifen: Erhöhung der Grundsteuer für Weidelandschaften im ländlichen Raum, Neubewertung der Einkommensteuer von Großfarmern, gewissenhafte Überwachung von umwelt-, arbeits- und steuerrechtlichen Erfordernissen bei der Fleischproduktionskette in Amazonien? - Wäre es nicht doch angebracht, ein Moratorium für eine Zeitdauer (etwa 4 Jahre) zu fordern, in der keine Rodungsgenehmigungen erteilt werden? Wäre dies nicht doch eine Verpflichtung, die von einem neuen Präsidenten der Föderativen Republik Brasilien erfüllt werden müsste? - Wäre es nicht doch zweckmäßig, ein breitgefächertes Umschulungsprogramm für Farmer und ihre Familien anzulegen, damit sie nachhaltige Techniken eines Zusammenlebens mit dem Tropenwald lernen? Sie sind schließlich Menschen wie wir alle, die eben nichts als ein menschenwürdiges Leben führen wollen. Die Viehzucht ist lediglich der Lebensunterhalt, der ihnen vertraut ist. Auf internationler Ebene: - Wäre es jetzt nicht doch höchste Zeit, das Verhältnis zwischen weltweiter Tropenwaldzerstörung, Viehwirtschaft und Einsatz von tropischen Edelhölzern zu diskutieren? Amazonien müssen wir eigentlich mit anderen Augen sehen, nicht mit den Rinderaugen, die in den vergangenen fünf Jahrhunderten die Perspektivlosigkeit gebracht haben. Wir müssen einsehen, dass wir weder 'Herdentiere" noch 'Sündenböcke" sind. Wir sind Menschen, die imstande sind zu beschließen, was sie wollen. Und wir erhoffen uns soziale Gerechtigkeit, eine gesunde Umwelt sowie eine gerechte Beschäftigungspolitik und eine faire Einkommensverteilung. Den künftigen Generationen wollen wir Amazonien mit genauso viel oder sogar mit reicherer Ehtnodiversität, Artenvielfalt und Kulturreichtum überlassen. ============================================== João Meirelles Filho lebt im Mündungsgebiet des Amazonas in der brasilianischen Großstadt Belém (Bundesstaat Pará). Er arbeitet bei der Nichtregierungsorganisation 'Instituto Peabiru" (www.peabiru.org.br) als Berater für die institutionelle Verstärkung von gemeinnützigen Organisationen aus dem Amazonasgebiet. João Meirelles Filho ist Verfasser des Buches Livro de Ouro da Amazônia (3. Auflage, Rio de Janeiro: Ediouro 2004). Er stammt aus einer Familie von Viehzüchtern, die vor zehn Generationen als Pioniere mithalfen, die neuen Grenzen Brasiliens nach Westen auszudehnen. Seit dem Jahr 2000 isst João Meirelles Filho kein Rindfleisch mehr. November 2005 übersetzt von Tito Livio Cruz Romão
Date: 2005-12-19
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