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EVANA Interview mit Oberrabbiner David Rosen

'Als Richter am Rabbinatsgericht hatte ich unangekuendigte Kontrollen in den Schlachthoefen vorzunehmen und mir wurde uebel beim Anblick des Toetens'

Februar 2008

EVANA Interview mit Oberrabbiner David Rosen, KCSG, internationaler Praesident ‘Religions for Peace’ (Religionen fuer den Frieden) und Ehrenpraesident der internationalen juedischen vegetarischen Gesellschaft.


EVANA: Herr Rabbiner, Sie haben den Offenen Brief an den Praesidenten des Europaeischen Parlaments*) unterschrieben, in dem gefordert wird, dass das komplexe Problem Fleisch bei kuenftigen Debatten ueber Klimaaenderung nicht mehr ausgespart wird. In der Praesentation von Klimastrategien, die der Praesidenten der Europaeischen Kommission dem Europaeischen Parlament vorlegte, blieben die dramatischen Konsequenzen der Fleischherstellung absolut unberuecksichtigt. Wie ist die Situation in Israel? Sind die Verantwortlichen dort mutiger, alle wichtigen Aspekte zu untersuchen und unbeliebte Themen nicht auszugrenzen?

Rabbiner David Rosen: Zunaechst muss ich zugeben, dass ich den groessten Teil meiner Zeit auf Reisen bin und daher nicht in jedem Fall ganz genau darueber informiert sein kann, was in Israel geschieht. Es ist allerdings so, dass viele wichtige Themen in Israel beiseite geschoben werden zugunsten dringender "Leben-und-Tod"-Fragen. Mit anderen Worten ist die (kurzsichtige) Haltung oft "wir muessen uns den gegenwaertigen Ueberlebens- und Sicherheitsherausforderungen widmen, weitere und in der Zukunft liegende Ueberlegungen muessen warten." Außerdem sind israelische Regierungen denen in Italien sehr aehnlich. Sie bestehen immer aus Koalitionen und folglich sind die politischen Fuehrer vorwiegend mit politischem Schachern fuer ihr eigenes politisches Ueberleben beschaeftigt. Die Einflussmoeglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen auf die Regierung bleiben daher sehr beschraenkt, und ausserdem stellen derartige Koalitionsregierungen ein Rezept fuer vorsichtiges anstatt mutigem Verhalten dar.


EVANA: Sogar die FAO bestaetigt die Tatsache, dass die Umwelt enorm durch die Viehwirtschaft belastet wird. Da man in Ihrem Teil der Welt ohnehin schon unter Duerren leidet und die Fleischproduktion enorme Mengen Wasser erfordert, wird sich diese Schwierigkeit in der Zukunft noch verschaerfen. Gibt es in Israel schon Massnahmen, noch einschneideren Problemen vorzubeugen?

Antwort: Ganz ehrlich – ich weiss es nicht. Ich kann aber sagen, dass man sich intensiv bemueht, alternative und zusaetzliche Moeglichkeiten der regionalen Wasserversorgung zu finden. Allerdings habe ich den Eindruck, dass es wenig oder gar keine Erkenntnisse ueber die Rolle der Viehwirtschaft in diesem Zusammenhang gibt. Falls aber doch, dann besteht wohl kaum der Wunsch, sich mit der Industrie oder dem Lebensstil der Buerger anzulegen.


EVANA: Die FAO schaetzt, dass die Weltproduktion von Fleisch sich bis 2050 verdoppeln wird. Wenn man sich ueberlegt, welches Umweltdrama wir damit schon heute erleben – was ist Ihre Theorie ueber die Zukunft unseres Planeten?

Antwort: Trotz meiner tiefen Besorgnis bin ich kein Experte auf diesem Gebiet. Aber wie man sagt: “Voelker reagieren weise, wenn sie alle anderen Alternativen erschoepft haben.” Zweifellos wird der Augenblick kommen, an dem die Krise die Gesellschaft zu mehr Verantwortungsbewusstsein zwingen wird.


EVANA: Abgesehen von den oekologischen Schaeden - werden in der juedischen Gesellschaft generell die vielen moralischen Aspekte angesprochen, die mit einer auf Tierprodukten basierenden Ernaehrung zusammenhaengen? Sehen Sie allgemeines Interesse, die Debatte ueber den Vegetarismus auf zukuenftige Tagesordnungen zu setzen?

Antwort: Man kann nicht wirklich ueber “DIE juedische Gesellschaft" sprechen. Allerdings gibt es sehr positive Anzeichen in einigen juedischen Gemeinschaften, besonders in den Vereinigten Staaten, dass solche Ueberlegungen ernstgenommen werden. Letzlich allerdings bleibt die wirtschaftliche Realitaet ausschlaggebend. Sobald aber Regierungen fuer die Thematik ausreichend sensibilisiert werden können, werden hoehere Steuern und das Angebot von Alternativen Wirkung zeigen.


EVANA: Professor Richard Schwartz, der Praesident der juedischen Vegetariervereinigung von Nordamerika, schrieb einen fiktiven Dialog zwischen einem juedischen vegetarischen Aktivisten und einem Rabbiner**), der Lesern den Eindruck gibt, dass die meisten juedischen geistigen Fuehrer nicht Vegetarier sind wie Sie. Ist Ihr Lebensstil eine Ausnahme?

Antwort: Leider ist nur eine kleine Minoritaet der Rabbiner vegetarisch, aber mit jedem Tag fallen Vegetarier weniger auf. Vor dreißig Jahren galten meine Frau und ich als Exzentriker und meinten sogar, uns bei unseren Gaesten rechtfertigen zu muessen. Heute dagegen wird der Vegetarismus zunehmend als so ‘normal’ angesehen, dass unsere fleischessenden Gaeste sich oft dafuer entschuldigen, dass sie keine Vegetarier sind!


EVANA: Wie sollen Juden damit umgehen, dass die Herstellung und der Konsum von Fleisch ethischen Forderungen entgegenstehen, nach man Tiere mit Mitgefuehl behandeln soll, dass die menschliche Gesundheit zu bewahren und die Umwelt zu schuetzen ist, dass natuerliche Ressourcen nachhaltig verwendet werden muessen, Hungernde zu unterstuetzen sind, fuer den Frieden gearbeitet werden muss usw.

Antwort: Durch eine Aenderung ihrer Lebensweise, damit die Art ihrer Ernaehrung in Einklang ist mit den von Ihnen genannten juedischen Werten.


EVANA: Obwohl es mit einiger Sicherheit festgestellt werden kann, dass die meisten Vegetarier in Indien leben, ist es schwierig, zuverlaessige Zahlen ueber die “V-Situation in anderen Laendern zu erhalten. Es sieht allerdings so aus, dass der zweitgroesste Prozentsatz von Vegetariern in Israel zu finden ist. Was ist der Grund fuer so viele Ihrer Mitbuerger, Fleisch zu meiden?

Antwort: Das wusste ich nicht, und es macht mich sehr gluecklich, dies zu hoeren. Ich denke, dass juedische religioese Praktiken eine Rolle spielen, die den gleichzeitigen Verzehr von Fleisch und Milchprodukten verbieten und eine lange Wartezeit vorschreiben, bevor eins nach dem anderen gegessen werden darf. Vielleicht liegt auch ein Grund in dem hohen Preis von koscherem Fleisch. Ausserdem sind Obst und Gemuese in Israel sehr gut, was vielleicht einen geringeren Bedarf an Fleisch mit sich bringt. Schliesslich mag die Tatsache, dass Hunderttausende von jungen Israelis nach Indien reisen und dadurch eine vegetarische Kultur kennenlernen, eine Wirkung haben.


EVANA: Da Vegetarier die Welt des Fleischkonsums aufmischen, sind sie nicht ueberall beliebt, oft werden sie sogar laecherlich gemacht. Sind Menschen, die kein Fleisch essen, in Israel mehr respektiert?

Antwort: Ich hab keinerlei Spott gegen Vegetarier in Israel gesehen. Im Gegenteil, nach meiner Erfahrung ist dies ein allgemein respektierter Lebensstil. Die Tatsache, dass es nicht noch mehr Vegetarier gibt, kann mit einer gewissen Abhaengigkeit vom Fleischverzehr mehr zu tun haben als mit der bewussten Akzeptanz davon.


EVANA: Im Rahmen Ihrer Arbeit kooperieren Sie sicher mit Leuten in vielen verschiedenen Laendern und Vertretern vieler Religionen. Haben Sie in der letzten Zeit eine Veraenderung feststellen koennen hinsichtlich dem Vegetarismus?

Antwort: Ja, heute sehe ich ein exponentielles Wachstum des Vegetarismus in der Welt.


EVANA: Basierend auf Ihrer internationalen Erfahrung: Wie unterscheidet sich die Situation in Israel bezueglich vegetarischem Aktivismus, Moeglichkeiten eines vegetarischen Lebensstils usw. mit aenderen Laendern?

Antwort: Wie ich schon vorher gesagt habe, bin ich angenehm ueberrascht ueber den hohen Prozentsatz von Vegetariern in Israel. Es ist mir allerdings auch klar, dass es sehr einfach ist, ein Vegetarier in Israel zu sein, besonders fuer Ovo-Lakto-Vegetarier (ausserdem gibt es eine grosse Auswahl an Bio-Produkten). Wegen der juedischen Regel, Fleisch und Milchprodukte zu trennen, findet man ein aussergewoehnlich grosses Angebot an vegetarischen Restaurants in Israel. Wie schon gesagt, das Angebot und die Qualitaet von Obst und Gemuese bei uns ist ausgezeichnet, was eine vegetarische Lebensweise daher natuerlich in Israel besonders einfach macht.


EVANA: Was sind Ihre Empfehlungen, wie Vegetarier ueberall in der Welt am wirkungsvollsten fuer unseren gewaltlosen Lebensstil werben koennen?

Antwort: Auch mit Fleischessern Mitgefuehl haben. Sie sind Opfer unserer menschlichen Vergangenheit, der heutigen Tradition und von Unkenntnis. Wenn wir ihnen mit Verstaendnis begegnen und sie ermutigen, sich allmaehlich in unsere Richtung zu bewegen (anstatt ihnen Forderungen zu stellen, die sie als extrem empfinden), gewinnen wir mehr Einfluss. Ausserdem muessen wir natuerlich selbst gute Werbetraeger sein, und zwar nicht nur durch unser Verhalten, sondern auch durch unsere Gesundheit, Vitalitaet und Energie, damit der vegetarische Lebensstil als erstrebenswert in jeder Beziehung begriffen werden kann.


EVANA: Wir alle kennen das Drama, ein hilfloser Zeuge von Grausamkeit zu sein. Sicher sind viele fortschrittliche Menschen entsetzt gewesen ueber den Horror des Sklavenhandels. Heute leiden viele Millionen von Vegetariern ueberall in der Welt unter dem Blutbad, das ueberall in den Schlachthaeusern stattfindet und das nicht mehr als eine nicht hinterfragte Routine ist. Sehen Sie Grund fuer Hoffnung?

Antwort: Absolut! Wir muessen allerdings die technische Loesloesung bekaempfen, die es moeglich macht, das auf dem Teller Liegende von der Grausamkeit zu trennen, die es dorthin brachte. Andererseits fuehrt natuerlich gerade die Medientechnik den Menschen Realitaeten vor Augen, ueber die sie sonst nicht informiert waeren. Dieses Wissen und das Aufdecken von Grausamkeiten bei der Behandlung und dem Schlachten von Tieren scheint zuzunehmen und bringt wachsendes Bewusstsein ueber das moralische Dilemma der Situation.


EVANA: Erlauben Sie uns bitte eine persoenliche Frage: Gab es einen besonderen Anlass fuer Sie, Vegetarier zu werden. Wann und wie ist es passiert?

Antwort: Eigentlich fand ich es, wie viele Menschen, schon als Kind richtig, Vegetarier zu sein (und ich bewunderte die, die es waren), aber Fleisch schmeckte mir einfach zu gut, um es aufzugeben. Eine Kombination von verschiedenen Dingen fuehrten meine Frau und mich vor mehr als dreissig Jahren zu der Entscheidung, Vegetarier zu werden. Es waren gesundheitliche Ueberlegungen und die Grausamkeit der Tierzucht, aber auch die Tatsache, dass ich als Richter am Rabbinatsgericht unangekuendigte Kontrollen der Schlachter in den Schlachthoefen vorzunehmen hatte und mir uebel wurde beim Anblick des Toetens. Es stellte sich eine moralische Frage: Wie kann man Anteil haben an etwas, das durch Aktionen zustandegekommen ist, an denen man NIEMALS beteiligt sein will und die man auch niemand anders zumuten kann. Das alles fuehrte zu unserer Entscheidung. Ich muss zugeben, dass ich ungefaehr drei Monate lang unter “Entziehungserscheinungen” litt, aber danach war das Problem fuer immer geloest.


EVANA: Was ist Ihr Rat fuer alle, die fuer eine bessere Welt arbeiten wollen?

Antwort: Sich nicht einschuechtern lassen von der Groesse der Herausforderung und sich nicht von Zynikern abschrecken lassen. Vor allem muss man wissen, dass Guete anderen und unserer Welt gegenueber auch Guete fuer uns selbst ist und der Weg zum Glueck und zur Erfuellung fuer andere und uns selbst.


EVANA: Herr Rabbiner, wir danken Ihnen sehr, dass Sie sich die Zeit fuer dieses Gespraech genommen haben. Wir wuenschen Ihnen und Ihrer wichtigen Arbeit weiterhin viel nationalen und internationalen Erfolg.

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Chief Rabbi David Rosen, KCSG,
International President, Religions for Peace;
Honorary President, The International Jewish Vegetarian Society
tel:+972-2-6255281 fax:+972-2-6256527
mailto:rosend@ajc.org


Source: Chief Rabbi David Rosen, KCSG
Author: Die Fragen stellte Herma Caelen

Link: *) Offener Brief an den Praesidenten des Europaeischen Parlaments 'The pressing problem of meat must not be excluded from future debates'
Link: **) A Dialogue Between a Jewish Vegetarian Activist and a Rabbi
Link: Russische Uebersetzung des Interviews
Link: Vegetarismus und Judentum

Date: 2008-02-29