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Barbara Ruetting: 'Die Erkenntnis, wie wenig selbst wir hier im Landtag tatsächlich für die Bewahrung der Schöpfung tun, macht mich sehr traurig'

Barbara Rütting 2008 in Dresden an der Demonstration für gefangene Tierschützer in Österreich Newsletter, Ausgabe 4/2009

Die Abschiedsrede, die ich zum Verzicht meines Mandats am 2. April 2009 im Plenum gern gehalten hätte ….

Herr Ministerpräsident, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin in diesem Hohen Haus nicht mehr glücklich, sondern zunehmend frustriert und traurig, weil ich immer mehr erkennen muss, wie wenig ich in diesem Landtag bewirken kann.

2003 wurde ich überraschend als absolute Quereinsteigerin in den Bayerischen Landtag gewählt, nachdem ich mich vorher etwa 30 Jahre lang außerparlamentarisch in der Friedensbewegung, für gesunde Ernährung und den Tierschutz eingesetzt hatte.

Der Auftrag der Wählerinnen und Wähler an mich war vor allem, verbesserte Lebensbedingungen für die bisher von allen politischen Parteien sträflich vernachlässigten Tiere zu erreichen. Man prophezeite mir damals: Entweder Du wirst ein Ellbogenmensch, wie das in diesem „Haifischbecken Politik“ unumgänglich ist, oder Du wirst verbittert, weil alle Deine Anträge von der übermächtigen CSU abgelehnt werden und Du ständig scheiterst.

Beides konnte ich vermeiden, indem ich versuchte, parteiübergreifend zu arbeiten und so liebevoll wie möglich auch mit Andersdenkenden umgehen, getreu dem Motto der Friedensbewegung „Das weiche Wasser bricht den Stein.“

Allerdings: Wenn wieder einmal einer von meinen Anträgen besonders für Verbesserungen im Tierschutz von der CSU abgelehnt worden war, habe ich oft verzweifelt in meinem Büro gesessen und gedacht: Es ist sinnlos, ich gebe mein Mandat zurück und engagiere mich wieder nur außerparlamentarisch.

Auf vielfachen Wunsch aus der Bevölkerung habe ich mich dann 2008 trotz dieser Bedenken erneut zur Wahl gestellt, vor allem um beizutragen, dass die Grünen mehr Stimmen erhalten und im Landtag mehr zu sagen haben. Allerdings ging es mir auch hier mehr um die Inhalte als um die Partei. Statt wie bisher 15 sind nun immerhin 19 grüne Abgeordnete im Landtag vertreten - ein Beweis, dass „grüne“ Themen doch immer mehr Zuspruch auch in konventionellen Kreisen erfahren.

Mit großem Einsatz konnte ich durch zahllose Veranstaltungen zu meinen Themen gesunde Ernährung, Verbraucher- und Tierschutz in Kindergärten, Schulen, bei Kongressen etc. einen phänomenalen Wahlerfolg erzielen - rund um den Chiemsee, wie sogar die Gazetten erstaunt berichteten, zwischen 15 und über 20 %. Die Menschen sind also durchaus nicht politikverdrossen, sondern nur politikerverdrossen.

2002 hat Deutschland hat als erstes Land der EU den Tierschutz ins Grundgesetz aufgenommen und damit zum Staatsziel erhoben. Alle Tierfreunde jubilierten - zu früh. Denn ohne ein Verbandsklagerecht, das anerkannten Tierschutzorganisationen ermöglicht, den Tieren eine Stimme zu geben, gegen Verstöße zu klagen und sich für die Tiere einzusetzen – wie es zum Beispiel für Behinderte und für die Umwelt bereits erreicht wurde – ist das ganze Tierschutzgesetz nichts wert. Der Antrag auf ein solches Verbandsklagerecht wurde von der CSU abgelehnt.

Die ehemalige Verbraucherschutzministerin Renate Künast setzte ein Verbot der tierquälerischen Käfighaltung der Legehennen ab 2007 durch, dem Karlsruher Urteil stimmten sämtliche Bundesländer zu, auch Bayern. Schon der 1. Januar 2007 hätte also ein Freudentag werden sollen, für alle Menschen, denen ein verantwortungsvoller Umgang mit unseren Mitgeschöpfen, den Tieren, am Herzen liegt, ganz besonders natürlich für die Legehennen, denen endlich ein einigermaßen artgerechtes Leben in Aussicht stand. Es wurde kein Freudentag.

Sie, Herr Ministerpräsident, haben es zu verantworten, dass dieses Gesetz wieder aufgeweicht wurde – Sie haben das Ende des herkömmlichen Käfigs um 2 Jahre nach hinten verschoben und einen neuen Käfig eingeführt, in dem eine Henne gerade mal um etwa eine Postkarte mehr Platz hat als auf der Größe einer DIN A4 Seite des als Tierquälerei verbotenen bisherigen Käfigs. Mit diesem Seehofer–Käfig, euphemistisch als „Kleingruppenhaltung“ angepriesen - werden die VerbraucherInnen in die Irre geführt. Käfig bleibt Käfig! Die Versuche, ihnen diese unsäglichen Haltungsbedingungen schmackhaft zu machen, werden hoffentlich am Widerstand der Bürgerinnen und Bürger scheitern. Denn immer mehr Verbraucher und Verbraucherinnen wollen keine Produkte aus tierquälerischer Haltung und sind auch bereit, dafür mehr zu zahlen.

Verdüstert wurde der Jahresbeginn zudem durch die neuen Rauchwolken über Bayern. Das nach monatelangem Ringen endlich verabschiedete Nichtraucherschutzgesetz, für das ich mich als Gesundheitsberaterin in meiner Fraktion ganz besonders eingesetzt hatte, bis zur Lächerlichkeit wieder aufgeweicht. Dafür wird jetzt die Pendlerpauschale wieder eingeführt. Dabei hat die CSU 2006 doch selbst dafür gestimmt, sie zu kürzen.
„Ist es gleich Wahnsinn, hat es doch Methode“ – Hamlet.

Durch den Einzug der beiden neuen Fraktionen ins Parlament sind für die mir am Herzen liegenden Themen auch keine Verbesserungen zu erwarten, im Gegenteil. Bei den Liberalen scheint die Meinung vorzuherrschen, Freiheit bedeutet, dass jede und jeder alles darf – der Mann sein Gewehr im Schrank haben, die Frau den Pelzmantel. Es wird also kaum eine Zustimmung zur längst fälligen Novellierung der Jagd geben, geschweige denn, zu einer Verschärfung des Waffenrechts, obwohl es doch nur eine einzige Antwort auf die zunehmenden Fälle von Waffenmissbrauch geben kann: Das Verbot von Waffen in privater Hand. Denn es sind längst nicht mehr nur die Hunde und Katzen, die Schießwütigen zum Opfer fallen, sondern immer öfter auch unschuldige Menschen, Familienangehörige, Kinder.

Wieder einmal bewahrheitet sich der Indianerspruch: Was immer den Tieren geschieht, geschieht bald auch den Menschen. Oder anders ausgedrückt: Tierschutz und Menschenschutz sind untrennbar.

Das mangelnde Verständnis in so gut wie allen Parteien für den Schutz und die Rechte der Tiere ist mir absolut unerklärlich. Vor 25 Jahren, also einem Vierteljahrhundert, habe ich mich aus Protest gegen Tierversuche am Pharmakonzern Schering in Berlin angekettet. Heute ist die Zahl der an Tieren durchgeführten Versuche sogar höher als damals, durchgeführt mit unseren Steuergeldern, für Alternativen ist kein Geld da.

So gut wie nichts hat sich in den letzten Jahren für die Tiere verbessert, nicht die Haltungsbedingungen, nicht die qualvollen langen Transporte, immer neue Mastanlagen werden gebaut, wieder subventioniert mit Steuergeldern.

Kann man in der Bayerischen Politik als Grüne überhaupt etwas bewirken, wurde ich oft gefragt. Man kann - wenn man bereit ist, Anträge immer und immer wieder zu stellen und, wenn man Glück hat, der zunächst von der Union abgelehnte Antrag später unter Unions-Flagge zurück kommt und dann – selbstverständlich - verabschiedet wird. „Ist eben Politik!“

Alle, aber auch alle meine von der grünen Fraktion eingebrachten Anträge für besseren Tierschutz wurden in der letzten Legislaturperiode von der CSU abgelehnt. So das Verbot der Anbindehaltung von Pferden, so gut wie in allen Bundesländern längst durchgesetzt – abgelehnt.

Die Anträge für:

• eine Normenkontrollklage gegen die Käfighaltung von Legehennen - abgelehnt

• eine verbesserte Haltung der Masthühner – abgelehnt

• eine Verbesserung der Haltung von Puten – abgelehnt

• eine verbesserte Nutztierhaltung – abgelehnt

• ein Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände – abgelehnt

• eine Novellierung des bayerischen Jagdgesetzes mit dem Verbot, Hunde und Katzen abzuschießen - abgelehnt

• ein Importverbot von Wildvögeln – abgelehnt

• ein Importverbot von Hunde- und Katzenfellen – abgelehnt.

• mehr Geld für Alternativen zu Tierversuchen – abgelehnt

Dagegen sehen die bisherigen Erfolge eher mager aus, die wichtigsten hätten auch außerparlamentarisch erreicht werden können:

• Die skandalöse Versuchstierhaltung- und Zucht von Primaten im Keller der Chirurgischen Klinik der Universität München wurde geschlossen – aber nicht aus tierschützerischen, sondern aus finanziellen Gründen.

• Die letzte Nerzfarm in Süddeutschland wurde geschlossen – aber nur, weil sie sich nicht mehr lohnte.

• Die Kampagnen gegen Pelzmode zeigen Erfolg, immer mehr Geschäfte nehmen Tierpelze aus ihrem Angebot – aber nur auf Grund der Demos der Tierschützer.

• Mein Antrag für ein Importverbot von Hunde- und Katzenfellen wurde von der CSU Fraktion zwar abgelehnt, schließlich kam ein Handelsverbot von der EU.

• Ebenso erfolgte ein Importverbot von Wildvögeln in die EU - auch dieser Antrag war von der CSU-Fraktion abgelehnt worden.

• Die Landtagsgaststätte ist auf meinen Druck hin bio-zertifiziert und führt täglich ein mehr oder weniger vollwertiges Bio-Gericht auf der Speisekarte.

• Als Mitglied des Landesgesundheitsrates konnte ich erreichen, dass endlich Patienten, Heilpraktiker und Naturheilkundler eine Stimme erhalten haben.

• Als Gefängnisbeirätin konnte ich erfolgreich zur Resozialisierung entlassener Häftlinge beitragen.

• Ich bin Schirmherrin für Bayern der „Tiertafel“ ( Unterstützung bedürftiger Tierhalter).

Das war es dann bereits.

Da ich mich immer und überall um Aussöhnung bemühe, setze ich mich, obwohl selbst keiner religiösen Gemeinschaft angehörend, auch immer wieder für einen Dialog zwischen aus religiösen Gründen zerstrittenen Tierschützern ein, was mir leider einige unberechtigte Angriffe seitens der Medien einbrachte. Deshalb freut es mich umso mehr, dass es 2010 in Dortmund den ersten Deutschen Kirchentag „Mensch und Tier“ geben wird, zu dem alle – aber auch alle! - religiösen und nicht religiösen Tierschutzgruppierungen eingeladen sind.

In der ganzen letzten Legislaturperiode habe ich erst zum Schluss einen einzigen Tag wegen eines Herz-Kreislauf-Zusammenbruchs im Landtag gefehlt. In letzter Zeit haben sich diese Zusammenbrüche gehäuft, so dass mir von ärztlicher Seite dringend geraten wurde, alle politischen und sozialen Aktivitäten zu unterlassen.

Erscheint einem die geleistete Arbeit zunehmend sinnlos, wird man krank. Es ist ein schleichender Prozess, den ich mir erst nach geraumer Zeit eingestanden habe.

Wäre die Erde eine Bank, man würde fieberhaft an ihrer Rettung arbeiten. Unsere Kinder werden uns aber einmal nicht danach beurteilen, wie hoch die Börsenkurse gestiegen und die Wertpapiere geklettert sind, sondern wie wir ihnen diese Erde hinterlassen haben. Die Erkenntnis, wie wenig selbst wir hier im Landtag tatsächlich für die Bewahrung der Schöpfung tun, macht mich sehr traurig. Denn es ginge auch anders: „ Die Erde hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier“ - ein Satz von Gandhi.

Als zweimalige Alterspräsidentin des Bayerischen Landtags verabschiede ich mich heute von Ihnen. Ich gebe mein Mandat vorzeitig auf. Für mich, die ihren Wählerauftrag sehr ernst nimmt, ein schwerer Schritt, mit dessen Folgen ich mich wochenlang auseinandergesetzt habe. Natürlich könnte ich versuchen, alles „etwas lockerer“ zu nehmen, die Zähne zusammen beißen, die restlichen 4 Jahre aussitzen und einfach immer wieder die gleichen Anträge stellen, wohl wissend, dass sie wieder abgelehnt werden – „Ist eben Politik“.

Das kann und werde ich nicht. Das macht für mich keinen Sinn, und dafür habe ich auch nicht mehr die Kraft. Ich ziehe die Konsequenzen, vor meinen Wählerinnen und mir selbst und gebe mein Mandat zurück im Bewusstsein, dass ich es gut gemacht und dem Landtag ganz gut getan habe.

Ich möchte mich aber auch bedanken – bei vielen Kolleginnen und Kollegen auch der anderen Fraktionen, die mich ihre Wertschätzung spüren ließen. Bei Ihnen, sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Barbara Stamm. Gemeinsam haben wir uns, wie ich denke erfolgreich, um eine modernere gesündere Ernährung in Landtagsgaststätte und Kantine bemüht. Und wenn ich in der Zeitung lesen musste, der Öko-Kaffee habe die Kaffeemaschine verstopft, so dürfte das wohl das geringste Problem hier im Landtag sein.

Bedanken möchte ich mich bei den Medien, die fair über mich berichtet haben, allen Mitarbeitern des Landtags und ganz besonders bei den reizenden Offizianten, immer gut gelaunt und hilfsbereit
– danke, danke, danke.

Ich verabschiede mich von Ihnen - nicht ohne die Hoffnung, dass Sie alle, die Sie hier in diesem Hohen Haus die Bürger und Bürgerinnen vertreten, immer die richtigen Entscheidungen treffen mögen.

"Und dann gehen, ohne sich noch einmal umzusehen." (Osho)


Source: Barbara Ruetting
Author: Barbara Ruetting

Link: Abschied in tiefer Enttäuschung/Deutschlands älteste Abgeordnete Barbara Rütting gibt ihr Landtagsmandat zurück - enttäuscht und ohne Abschiedsrede

Date: 2009-04-04