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Herzlichen Glueckwunsch zum 80. Geburtstag, liebe Barbara Ruetting

Ein geflügeltes Wort im bayrischen Landtag: Was ist die Steigerung von 'Begeisterung'? Antwort: Barbara Rütting!

Ein Interview mit EVANA

EVANA: Achtzig Jahre und kein bisschen weise?

Barbara Ruetting: Ein bisschen weiser als mit 20 bin ich hoffentlich doch! Ich habe gelernt, im Hier und Jetzt zu leben, nicht an der Vergangenheit zu hängen und – los zu lassen.

EVANA: Als Sie waehrend der Wiener EVU Talks im letzten April Ihr Alter nannten, waren die Teilnehmer mehr als verbluefft, weil man Ihnen die Jahre wirklich nicht ansieht. Was ist Ihr Geheimnis, attraktiv, fit und dynamisch zu bleiben?

Barbara: Vegetarische Vollwertkost, Bewegung – Yoga und Qi Gong - mit den Hunden spazieren gehen – richtig atmen, Meditation, Ent–schleunigen, viel Lachen und Weinen.

EVANA: Sie haben es immer wieder geschafft, neue Wege zu gehen und hatten offensichtlich keine Angst vor dem Unbekannten. Haben gemachte Erfahrungen Sie allmaehlich auf neue Pfade geleitet oder wurden die Weichen auch durch bestimmte Ereignisse gestellt?

Barbara: Entscheidend waren der Umzug aufs Land und meine Erkrankung an Rheuma mit 30 Jahren. Die Tiere, die ich jetzt so hautnah erleben durfte - die Rehe unter dem Apfelbaum, meine Zwerghühnchen - konnte ich mir nicht mehr als Braten auf dem Teller vorstellen. Mit der Ernährungsumstellung auf eine vegetarische Vollwertkost bekam ich auch mein Rheuma und alle möglichen anderen Wehwehchen in den Griff – vor nunmehr fast 40 Jahren.

EVANA: Es war sicher sogar fuer Sie eine Ueberraschung, als Sie sich eines Tages im Bayrischen Landtag wiederfanden. Wie haben Sie es geschafft, sich so rasch zu akklimatisieren und sofort voll in die politischen Aktivitaeten einzusteigen?

Barbara: Anfangs dachte ich, das erste Jahr würde ich nicht überleben. Als absolute Quereinsteigerin hatte ich ja keine Ahnung vom parlamentarischen Geschehen, all den Anträgen, Sitzungen und frustrierenden Ablehnungen meiner doch soooo guten Vorschläge. Inzwischen bin ich so gut eingearbeitet, dass ich doch sehr schöne Erfolge verzeichnen kann. Die Erfolge sind unter anderen: Schließung der katastrophalen Primatenzuchtanstalt an der Uni München; Schließung der letzten bayerischen Pelztierfarm; immer mehr Modehäuser verzichten dank unserer vielen Demos auf Tierpelze in ihrem Sortiment; unserem grünen Antrag, dass Schächten in Zukunft nur noch mit kurzeitiger Betäubung erlaubt sein sollte, wurde fraktionsübergreifend zugestimmt; zum Nichtraucherschutz haben wir Grünen den ersten Anstoß gegeben; ich habe erreicht, dass im Landesgesundheitsrat, der die Parlamentarier in Gesundheitsfragen berät, in Zukunft auch Patienten, Naturheilkundler und Heilpraktiker vertreten sein werden; die Landtagsgaststätte führt inzwischen täglich ein biologisches Vollwertgericht auf der Speisenkarte, es gab sogar eine Bio-Woche, die Gaststätte ist jetzt Bio-zertifiziert, 10 % Bio mindestens werden angestrebt; ich bin Mitglied in einem überfraktionellen Komitee, das sich um die Qualität der Speisen kümmert; durch meine Vorträge und Fachgespräche und meine Bücher – das erste Kochbuch erschien 1976, das neueste „ Ich bin alt und das ist gut so“ ist mein 17. - konnte ich vielen Menschen zu einer gesünderen Ernährung und damit Gesundheit verhelfen und und und. Werde ich gewählt, ok,- wenn nicht, auch o.k.

EVANA: Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer momentanen politischen Arbeit?

Barbara: Ich bin für die Grünen Sprecherin für Ernährung, Verbraucher- und Tierschutz. Meine Ziele: Dass Bayern gentechnikfrei wird; dass die Käfighaltung der Legehennen endgültig verboten wird und bleibt; dass das völlig veraltete Jagdgesetz novelliert wird, so dass Hunde und Katzen nicht mehr abgeschossen werden dürfen; dass Tiertransporte strenger reduziert und kontrolliert und mehr Fördermittel für Alternativen zum Tierversuch bereit gestellt werden; und dass die Bevölkerung auch durch ihr Kaufverhalten dazu beiträgt, dass all diese Hoffnungen Wirklichkeit werden.

EVANA: Planen Sie, die politische Laufbahn in den naechsten Jahren fortzusetzen?

Barbara: Auf vielfachen Wunsch aus der Bevölkerung werde ich doch noch einmal kandidieren. Bisher gibt es niemanden, der oder die bereit ist, sich derart mit Haut und Haar einzusetzen, gerade für den Tierschutz, wie ich das seit nunmehr 40 Jahren tue. Vor 25 Jahren habe ich mich beim Pharmakonzern Schering gegen Tierversuche angekettet! Wer von den Jungen tut so etwas heutzutage? Sie sind zu bequem geworden. Ich sehe, dass ich parlamentarisch etwas erreichen kann, meine Arbeit der letzten 4 Jahre beginnt, Früchte zu tragen.

EVANA: Sie beschaeftigen sich intensiv mit vielen unterschiedlichen Aufgaben und reisen eifrig in der Welt umher. Sie besuchen mit Ihren Hunden Altersheime und schreiben Buecher und Artikel. Sind Sie ein Organisationsgenie, dass Sie so erfolgreich mit all diesen verschiedenen Aktivitaeten jonglieren koennen? Welchen Rat haben Sie fuer Zeitgenossen, die ihre Zeit nicht so erfolgreich einteilen koennen?

Barbara: Immer begeistert sein für das, was ich tue. Im Landtag kursiert ein geflügeltes Wort: Was ist die Steigerung von „Begeisterung“? Antwort: Barbara Rütting.

EVANA: Wie teilen Sie Ihre Zeit auf zwischen Ihren verschiedenen Arbeitsgebieten?

Barbara: Absolut chaotisch, es geht nicht anders. Ich habe gar keine Zeit zum Aufteilen. Das Allerallerdringendste wird zuerst erledigt ....


Vegetarismus und Umwelt

EVANA: Fleisch bedeutet den Ruin fuer die Umwelt, traegt zur Erderwaermung bei, nimmt den Armen die Nahrung weg und bringt durch immer wieder ausbrechende Tierseuchen allen Buergern gesundheitliche Gefahren. Wie lange koennen es sich die Entscheidungstraeger eigentlich noch erlauben, im Interesse der Fleischindustrie die Augen zu verschliessen vor diesem vielschichtigen und blutigen Problem?

Barbara: Vermutlich brauchen die Menschen noch größere Katastrophen, um endlich aufzuwachen.

EVANA: Wie kann man am besten seinen persoenlichen Beitrag fuer eine heilere Umwelt leisten?

Barbara: JedeR kann Politik mit dem Einkaufskorb betreiben. Regional und saisonal einkaufen. Und 10 % Bio, das kann auch jedeR! Gesunde Lebensmittel müssen ihren Preis haben. 1960 wurden noch durchschnittlich 30% des Haushaltsgeldes für Lebensmittel ausgegeben, heute gerade mal 12%. Für das Auto darf es das teuerste Öl sein, für den Salat soll das billigste genügen – da stimmt etwas nicht!


Filme

EVANA: Man sieht heute noch ziemlich oft Filme, in denen Sie mitgespielt haben. Wie viele Filme haben Sie gedreht?

Barbara: 45 Filme, und auf der Bühne habe ich so gut wie alle Neurotikerinnen der Weltliteratur gespielt.

EVANA: Welche unter den Stars, mit denen Sie gearbeitet haben, haben Sie am meisten beeindruckt und warum?

Barbara: Keiner.

EVANA: Ist Ihr Lebensabschnitt ‘Filmstar’ voellig abgeschlossen oder haben Sie noch Kontakt zu frueheren Kollegen?

Barbara: Dafür habe ich im Moment gar keine Zeit, bei einer 60-70 Stunden Arbeitswoche.

EVANA: Wuerden Sie bei einem passenden Thema erwaegen, wieder vor die Kamera zu treten?

Barbara: Wenn ich zum Beispiel eine grüne Bundeskanzlerin zu spielen hätte – warum nicht?


Medien

EVANA: Sie sind Gast in sehr vielen Talkshows, die sich mit den unterschiedlichsten Problemen beschaeftigen. Wenn Sie ein Moderator waeren – zu welchem Thema wuerden Sie selbst gern andere befragen?

Barbara: Zu ihrer Einstellung zum Tod.

EVANA: Die Reportagen ueber das Leiden der Tiere sind eigentlich so klar und eindrucksvoll, dass die Entschuldigung der Fleischesser ‘Ich hab es nicht gewusst’ nicht mehr gelten kann. Welche Dokumentarfilme wuerden Sie sich im Interesse einer noch gruendlicheren Aufklaerung wuenschen?

Barbara: Die Filme sind ja vorhanden, aber die Menschen drücken sich davor und sehen lieber den Komödienstadl oder Ähnliches.


Kochen

EVANA: Wie viele Kochbuecher haben Sie geschrieben?

Barbara: Insgesamt 17 Bücher, außer den Kochbüchern aber auch Kinderbücher und Gesundheitsbücher. Mein neuestes, ein Gesundheitsratgeber, heißt „Ich bin alt und das ist gut – meine Mutmacher aus acht gelebten Jahrzehnten.“

EVANA: Sie muessen eine sehr gute Koechin sein, denn Ihre Kochbuecher mit all den verlockenden Rezepten erwecken in einem den Wunsch, bei Ihnen zum Essen eingeladen zu werden. Was sind Ihre Lieblingsgerichte?

Barbara: Pellkartoffeln mit Salz und Leinöl, mein Spinat–Hirseauflauf.

EVANA: Sie haben das Rezept fuer ein bestimmtes Brot entwickelt. Wie heisst es und wo kann man es bestellen?

Barbara: Das Rezept habe ich 1970 kreiert. Das Brot heißt „Barbara Rütting –Brot“, ist ein Roggenvollkornbrot mit Natursauerteig und Gewürzen. Die Bezugsadressen stehen auf meiner homepage.


Tiere

EVANA: Haben Sie Tiere schon immer geliebt oder gab es ein besonderes Ereignis, das dieses Interesse ausgeloest hat?

Barbara: Wir zogen jedes Jahr ein entzückendes Ferkel groß, das wurde dann am Jahresende geschlachtet – ein schreckliches Erlebnis. Ich wollte damals schon Vegetarierin werden, dieser Wunsch ging dann während der Schauspielzeit unter und meldete sich wieder energisch, als ich 1969 nach Österreich auf den Bauernhof zog.

EVANA: Es ist bekannt, dass Ihnen Tiere sehr wichtig sind und dass Sie sehr sehr fuer sie einsetzen. Was erwarten Sie von tierlieben Mitbuergern?

Barbara: JedeR sollte sich klar machen, dass ein abgepacktes Schnitzel von einem mitfühlenden und meistens gequälten Lebewesen stammt. Wenn jedeR selbst ein Tier schlachten müsste, gäbe es vermutlich nur noch VegetarierInnen.

EVANA: Die Fleischindustrie fordert Opfer in astronomischer Hoehe und keine Tierart ist sicher. Wilde Tiere werden ausgerottet fuer die Pelzindustrie. Elfenbein wird ueberall gehandelt. Das Erschiessen hilfloser Tiere gilt als ‘Sport’. Tiere werden umgebracht fuer die Herstellung ominoeser traditioneller Medizin. Wilde Tiere vertreibt man aus ihrem Lebensraum. Millionen von hilflosen Wesen leiden bei Tierversuchen oder fuer die menschliche Unterhaltung. Die Ruecksichtsloskeit Tieren gegenueber kennt keine Grenzen und ist eine blutige Realitaet geworden. In vielen Situationen wird schon die Tatsache, ein Tier zu sein, mit dem Tod bestraft. Gibt es Hoffnung?

Barbara: Trotz aller Rückschläge gibt es auch Hoffnung. Das Bewusstsein der Menschen, besonders der Kinder, hat sich geschärft, gerade was die Quälerei von Tieren angeht. Nur die Politiker schenken ihnen kein Gehör, weil sie Knechte der Industrie sind. Immer wieder auf die Barrikaden gehen ist die einzige Lösung. Und mit dem eigenen Wahlverhalten bessere Gesetze fordern, wie zum Beispiel das Verbandsklagerecht für Tiere. Ein absolutes Muss.


Die Zukunft

EVANA: Die Meere werden leergefischt, Tiere durchleben die Hoelle, bis sie auf die machmal sehr lange Fahrt in den Tod geschickt werden. All diese schrecklichen Tatsachen werden durch Artikel oder Filme dokumentiert. Wie werden zukuenftige Generationen uns, die wir das unsaegliche Elend in aller Klarheit sehen und doch nichts aendern koennen, beurteilen?

Barbara: Wir können doch etwas ändern, und wir tun es doch auch! Aber jedeR muss etwas dazu beitragen, nur dann ändert sich die Welt.

EVANA: Sie haben einen viel beachteten Beitrag “Vegetarisch leben zur Heilung der Erde?” geschrieben fuer das Buch der Europaeischen Vegetarier Union “Utopia Today – Reality Tomorrow / A Vegetarian World”. Meinen Sie, dass wir das Aufdaemmern dieser friedlichen Welt noch erleben werden?

Barbara: Aber ja, wir sind bereits mittendrin!

EVANA: Die dynamische Vegetarierin Teresa Hsu feierte vor kurzem ihren 110. Geburtstag und sagte, dass man nie zu alt ist, um anderen zu helfen. Nachdem auch Sie nun so viele Jahre fuer Mensch und Tier gearbeitet haben, haben Sie sicher auch schon Plaene fuer die naechsten drei Jahrzehnte?

Barbara: Ich möchte gern in einer vegetarischen Gemeinschaft leben und einmal gesund sterben, egal wann.


EVANA: Zum Abschluss: Sie haben ein Buch geschrieben ueber die heilsame Wirkung des Lachens. Was ist Ihr Lieblingswitz?

Barbara: Mein schrecklich-schöner Lieblingswitz: Ein Ehepaar kommt zum Scheidungsrichter, er 96, sie 90 Jahre alt. Der Richter erstaunt: „Und das fällt Ihnen jetzt ein, dass Sie sich scheiden lassen wollen?“ Darauf beide wie aus einem Munde: „Nein, das wollen wir schon seit 50 Jahren, aber wir wollten warten, bis die Kinder tot sind!“
Komisch, aber auch schrecklich traurig. Was für ein Leben! Nie den Augenblick gelebt, immer alles auf später verschoben. Auf zu spät.

Liebe Barbara, wir danken sehr, dass Sie sich die Zeit fuer dieses ausfuehrliche Gespraech genommen haben.


Source: Barbara Ruetting
Author: Die Fragen stellte Herma Caelen - mailto:info@evana.org

Link: Barbara Rütting, MdL Bündnis 90/Die Grünen im Gespräch mit Christoph Lindenmeyer (21.11.2007)
Link: Buch 'Ich bin alt und das ist gut so ...'
Link: Wiener EVU Talks / Resume: Die vegetarische Antwort auf das Welthungerproblem
Link: 'Utopia Today – Reality Tomorrow / A Vegetarian World'
Link: «Die Jungen sind zu bequem geworden» - Grünen-Politikerin Rütting über ihren 80. Geburtstag, ihre Politik und ihre Zukunftspläne

Date: 2007-11-21