Logo
European Vegetarian and Animal News Alliance (EVANA)
Select language:
en de fr pt es
it nl ro sl sq sv



Join us on
facebook logo
Facebook!





RSS all lang.

Donation to EVANA.

Der Kampf um Personenstatus für den Schimpansen Hiasl

Ein EVANA Interview mit Paula Stibbe

«Die Idee, dass Hiasl Grundrechte gewährt werden müssen, war das Resultat von Sorge um seine Sicherheit....»

Paula Stibbe, eine in Österreich lebende englische Sprachtrainerin, hat sich der schwierigen Aufgabe des Kampfes um Grundrechte für den Schimpansen Hiasl angenommen. EVANA fragte Paula nach ihrer Freundschaft mit Hiasl und der Entwicklung der Gerichtsverfahren.

16 November 2008

EVANA: Paula, wie geht es Ihrem haarigen Freund Hiasl?

Paula: Danke für die Nachfrage! Es geht Hiasl so gut, wie es bei einem wilden Tier in Gefangenschaft eben möglich ist. Jetzt ist der Sommer vorbei und er findet die Tage etwas langweilig. Er verbringt weniger Zeit draußen während der Wintermonate. In Wien kann es recht kalt werden. Seine Partnerin Rosi bleibt normalerweise während der Wintermonate in ihrem Bett und kann nur durch Besuche ihrer menschlichen Freunde oder durch Leckerbissen herausgelockt werden.

EVANA: Wann und wie haben Sie ihn kennen gelernt?

Paula: Nun, als ich um 2000 gerade in Österreich angekommen war, habe ich mich für das «Great Ape Project» (Projekt für Menschenaffen) gemeldet. Man sammelte Daten über in Gefangenschaft lebende Menschenaffen auf der ganzen Welt für eine Auflistung, wer war wo, und unter welchen Bedingungen lebten sie. Ich besichtigte Zoos und Forschungsinstitute, in denen die verschiedenen Menschenaffen in Österreich gehalten wurden. Direkten Kontakt mit den Schimpansen in den Forschungszentren hatte ich allerdings nicht, sondern man führte mich in das Erdgeschoss eines Gebäudes, in dem der Boden unter meinen Füßen aus dickem Glas war, von dem aus ich die Schimpansen in ihren Einzelkäfigen im Keller sehen konnte! Ich hatte genug über Schimpansen gelesen, um zu wissen, dass es keine übertriebene Sentimentalität von mir war, nicht buchstäblich über sie hinweg gehen zu wollen. Ich war entsetzt zu sehen, dass viele der Schimpansen an die Decke sprangen und ihre Fäuste gegen das Glas schlugen. Andere kauerten in der Ecke, umarmten ihre Knie und wagten keinen Blick nach oben. Erfreulicherweise kann ich sagen, dass diese Schimpansen inzwischen vom Labor ‚pensioniert’ wurden und in Gruppen in einem österreichischen Safaripark leben.

Zurück zu Hiasl … er und seine Partnerin Rosi waren von dem oben erwähnten Labor in Afrika bestellt worden, um als Forschungsinstrumente verwendet zu werden. Dies geschah in den frühen 80er-Jahren. Der Wiener Tierschutzverein (WTV) erhielt einen Hinweis auf die Ankunft der Schimpansen am Flughafen und alarmierte die Behörden, die sofort nach der Landung die beiden Babyschimpansen konfiszierten. Hiasl und Rosi hatten die traumatische Reise von Afrika nach Europa überlebt und wurden in das Tierasyl der Organisation transferiert. Es war in dieser Einrichtung, in der ich Hiasl zum ersten Mal traf. Nachdem er mich von weitem kritisch überprüft hatte, kam er und lud mich zum «Tauziehen» ein, indem er mir den Zipfel eines Lakens hinhielt und seinen Kopf auf und ab bewegte.

EVANA: Wie ist das Tierasyl?

Paula: Hiasl hat im Wiener Tierschutzverein (WTV) nun etwa 25 Jahre gelebt. Der WTV war die erste Tierschutzorganisation in Österreich, sie wurde vor 160 Jahren gegründet! Das Heim des WTV liegt am Stadtrand von Wien und hat finanzielle Schwierigkeiten, wie fast alle anderen Organisationen, die unerwünschten und missbrauchten Tieren helfen wollen. Unter der jetzigen Leitung des Vereins ist Hiasl in Sicherheit, aber ich mache mir Sorgen wegen der Gefahren, sollte der Verein je in Konkurs gehen, was in der Vergangenheit mehrmals fast geschehen wäre. Meine Furcht ist, dass die Konkursverwaltung verpflichtet sein könnte, Vermögenswerte zur Begleichung der Schulden zu verkaufen. Viele wilde Tiere könnten als Vermögenswerte gelten, einschließlich Schimpansen. Wer könnte verhindern, dass Hiasl an einen Zirkus oder ein Forschungslabor in ein Land verkauft wird, in dem das Tiergesetz erlaubt, Schimpansen auf diese Weise zu benutzen?

EVANA: Alle Freunde von Schimpansen sind erstaunt und begeistert, dass im Jahr 2008 der Tarzan TV-Star Cheeta mit 76 Jahren noch lebt. Wie alt ist Hiasl?

Paula: Im Vergleich damit ist Hiasl ist noch ein junger Hüpfer. Wir sind ziemlich sicher, dass er 27 ist.

EVANA: Besuchen Sie ihn häufig? Erkennt er Sie? Haben Sie es geschafft, einen persönlichen Kontakt mit ihm aufzubauen?

Paula: Ich besuche ihn normalerweise zweimal in der Woche. Wir haben einen speziellen Gruß, der sich über die Jahre entwickelt hat: Hiasl zwickt meine Nase zwischen seinem Zeige- und Mittelfinger. Ich würde sagen, dass sich eine Freundschaft über die Jahre entwickelt hat. Dieses ist jedenfalls bei mir der Fall. Es wäre schön zu denken, dass er es auch als eine Freundschaft betrachtet, jedoch ist Hiasl ein wildes Tier. Ich kann nicht wissen, was Freundschaft für Schimpansen bedeutet! Die beiden Schimpansen haben ein Aussen- und ein Innengehege. Wenn ich sie besuche, gehe ich ins Innengehege, wo wir uns durch die Gitterstäbe miteinander verständigen. Schimpansen sind sehr stark und haben den Ruf, unberechenbar zu sein. Da Hiasl und Rosi seit ihrer Kindheit nicht mehr an den direkten Kontakt mit Menschen gewöhnt sind, scheint es nicht vernünftig, irgendein Risiko durch das Betreten ihres Geheges einzugehen.

EVANA: Vor kurzem haben junge Schimpansen menschliche Studenten beim Zahlenerinnern in den Schatten gestellt. Denken Sie, dass die Intelligenz der Schimpansen hinter Gittern kompromittiert wird?

Paula: Das ist eine sehr interessante Frage. Wir wissen, dass in Gruppen wild lebende Schimpansen kognitive Fähigkeiten haben, die Menschen zu der Überlegung zwangen, was denn eigentlich an Menschen so einzigartig sein soll. Schimpansen bauen und verwenden Werkzeuge und nicht nur das: verschiedene Gruppen von Schimpansen an verschiedenen Orte bedienen sich unterschiedlicher Herstellungsarten und Anwendung der Werkzeuge. Dieser letzte Punkt ist das, was wir Menschen als Kultur definieren, und siehe da, nicht-menschliche Tiere praktizieren ihn auch.

Eine Theorie ist, dass dies alles nur möglich ist, weil Schimpansen soziale, von anderen lernende Wesen sind. Was geschieht aber mit Schimpansen, die aus ihrer Umwelt als Babys herausgerissen werden, sogar Zeugen des Mordes ihrer Mutter und anderer Gruppenmitgliedern werden? Nun, sie verpassen eine wesentliche Lernphase, die ihnen zeigt, wie man ein erfolgreicher Schimpanse wird. Dieses ist nicht etwas, das ihnen zurückgegeben werden kann. Es ist extrem schwierig, eingefangene Schimpansen wieder in die Freiheit zu entlassen, denn sie haben nicht die für ein Überleben in ihrer eigenen Umwelt benötigten Fähigkeiten gelernt.

Das Schicksal eines gefangenen Schimpansens kann sehr unterschiedlich sein. Das Beste für ihn ist ein Umfeld mit anderen Schimpansen und mit wenig menschlicher Intervention. Einige Zoos und Reservate haben dies ermöglicht dadurch, dass große Gruppen von Schimpansen frei auf einer Insel leben können. Sie haben dann die Möglichkeit, Schimpansengruppen zu bilden und sich zwischen ihnen frei zu bewegen, wie sie es auch in der Wildnis tun würden. Auf diese Weise lernen sie auch voneinander.

Am anderen Ende der Skala gibt es Forschungslabors, Zirkusse und schlecht ausgerüstete Zoos. Nur der «Glückschimpanse» wird an diesen Orten mit anderen Schimpansen Kontakt haben können. Die Tage sind eintönig und ihre Umgebung bietet keinerlei Anregung, ganz zu schweigen von dem Leiden, dem sie während des Experimentierens und Trainings ausgesetzt sind. Diese Bedingungen bremsen nicht nur die Entwicklung der Schimpansen, sondern sind auch verantwortlich für extrem abnorme Verhaltensweisen.

Dann gibt es das ganze Thema der «kulturlosen» Schimpansen. Dieser Ausdruck bezieht sich auf gefangene Schimpansen, die ausschliesslich in einer menschlichen Umwelt aufgezogen wurden. Normalerweise erreichen die in einem privaten Haushalt heranwachsenden Schimpansen ein Stadium, in dem sie unkontrollierbar werden. Nach der Bildung einer starken Bindung an Menschen werden sie dann in ein unsicheres Schicksal entlassen. Es gibt eine andere große Gruppe gefangener Menschenaffen, die auch kulturlos sind; sie werden zum Erlernen von Sprache genutzt. Sie sind als menschliche Kinder erzogen worden und verwenden Zeichensprache oder Symbole, die Wörter darstellen. Man kann darüber streiten, ob es akzeptabel ist, Menschenaffen für diese Zweck zu benutzen, aber es ist wirklich erstaunlich, dass viele dieser Schimpansen sich mehr mit Menschen als mit Schimpansen identifizieren. Der weibliche Schimpanse Washoe z.B. nannte andere Schimpansen «schwarze Käfer», als sie sie zum ersten Mal traf!
(Fouts, Roger. Next of Kin: My Conversations with Chimpanzees. New York: Avon Books, 1977).

EVANA: Erstaunliche Studien haben gezeigt, dass Schimpansen altruistisches Verhalten und Neugier gegenüber wilden Tieren zeigen und sogar die Schönheit der Natur schätzen. Erlaubt man Hiasl in seinem eingeschränkten Alltag irgendwie, sein Leben als empfindsames und intelligentes Wesen zu geniessen, auf das er ein Recht hat?

Paula: Soweit wie möglich, ja. Hiasl hat auch schon seine Freundlichkeit unter Beweis gestellt. Ich erinnere mich, dass ich während eines Besuchs bei Hiasl vor einigen Jahren schlechte Nachricht auf meinem Handy erhielt und deswegen einige Tränen vergoss. Hiasls Reaktion kann ich nur als als «besorgt» beschreiben. Er kam zu mir und setzte sich neben mich, machte weiche «uh» Laute, schaute mir aufmerksam ins Gesicht und streichelte sanft meinen Arm. Bei anderen Gelegenheiten habe ich auch gesehen, dass er durch den Regen ins Aussengehege ging und Essen holte, das er dann mit seiner Gefährtin Rosi teilte. Schimpansen sind nicht gerade für ihre Großzügigkeit berühmt, wenn es um das Teilen von Futter geht, daher war ich ziemlich überrascht. Allerdings muss ich sagen, dass Rosi sehr hartnäckig bettelt und Hiasl hat vielleicht nicht aus Freundschaft sein Essen mit ihr geteilt, sondern um seine Ruhe zu haben. Ich schliesse die Möglichkeit nicht aus, dass die beiden ein Abkommen haben, in das ich nicht eingeweiht bin. Aber es stimmt, es gibt viele dokumentierten Fälle des nicht-menschlichen Altruismus.

EVANA: Nehmen Sie Leckerbissen mit, wenn Sie ihn besuchen? Was sind seine Lieblingsschleckereien?

Paula: Eine der Sachen, die ich für Hiasl und Rosi tun kann, ist der Versuch, ein bisschen Abwechslung in ihren Alltag zu bringen. Also nehme ich Leckerbissen mit und biete sie ihnen aber so an, dass sie sie suchen müssen oder dass sie unterschiedlich schmecken. Ich bringe normalerweise Saft, frisches und getrocknetes Obst und Nüsse mit. Allerdings mag Hiasl im Moment am liebsten schokoladeüberzogenen Reiskuchen! Ich mache Futterpakete und verstecke sie oder verstreue das Essen. Im Sommer friere ich Frucht und Saft ein.

EVANA: Schimpansen mögen Spaß und rumalbern. Was amüsiert, unterhält oder interessiert Hiasl?

Paula: Hiasl liebt es zu spielen. Seine Lieblingsspiele sind Fangen, Tauziehen und Kitzeln. Eine der sehr rührenden Dinge bei Hiasl ist seine rücksichtsvolle Art. Weil wir normalerweise nur Babyschimpansen in den TV-Werbungen sehen, sind viele Leute überrascht, wie groß und stark ein erwachsener Schimpanse wirklich ist. Sie sind tatsächlich um vieles stärker als ein erwachsener männlicher Mensch. Wenn Hiasl und ich spielen, ist er immer sehr vorsichtig beim Einsatz seiner Kraft und ist auch nicht zu grob. Ich denke häufig, dass so ein erwachsener Mensch mit einem Kind spielt.

Es ist immer eine grosse Freude, ihn zum Lachen zu bringen. Hiasls Lachen ist wie ein tonloses Hecheln, bei dem er seinen Unterkiefer fallen läßt und seinen Kopf auf und ab oder hin und her bewegt. Beim Tauziehen findet er es sehr lustig, wenn ich loslasse und er nach hinten fällt, oder wenn er mich beim Fangen überlistet, indem er die Richtung wechselt.

Gelegentlich mag Hiasl zeichnen, normalerweise mit Kreide oder Zeichenstiften. Er wird sehr konzentriert, hält das Papier gegen Wand und malt darauf überlegte Striche.

Hiasls Partnerin Rosi ist weniger interessiert am Spiel; sie tut lieber Dinge. Zum Beispiel zeigte sie viel Interesse an einer elektronischen Tastatur und war fasziniert, als wir eine Video-Kamera installierten, in der sie sich selbst sehen konnte. Nach einer Weile und viel Aufregung begann sie, langsame und betonte Bewegungen zu machen und dabei aufmerksam dem Bildschirm zu beobachten. Die beiden Schimpansen haben sehr verschiedene Persönlichkeiten.

EVANA: Sie haben ein Gerichtsverfahren eingeleitet, damit Hiasl eine Art von Personenstatus geniessen kann. Was brachte Sie auf die Idee und wer sind Ihre Verbündeten in diesem Fall? Arbeiten Sie mit Organisationen in anderen Ländern zusammen, die auf dem gleichen Kreuzzug sind? Beteiligen sich Wissenschaftler an diesem Kampf ?

Paula: Die Idee, dass Hiasl Grundrechte gewährt werden müssen, war das Ergebnis von Sorge um seine Sicherheit, sollte das Asyl nicht länger für ihn sorgen können. Nach einem Austausch mit aufgeschlossenen Rechtsanwälten wurde es offensichtlich, dass die Möglichkeit seiner Zukunftssicherung darin besteht, seinen legal Status zu verändern. Das Gesetz gewährt Personen einen bestimmten Status, der nüchtern betrachtet, den Unterschied darstellt, ob ein Lebewesen wie eine Sache behandelt wird, die gekauft und verkauft werden kann, oder als jemand mit Bedürfnissen, die verletzt oder respektiert werden können. Im letzten Fall treffen die drei Grundrechte zu: das Recht auf Leben, Freiheit und ein Verbot von Folter. Die Zukunft Hiasls hängt also davon ab, ob er Grundrechte hat. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob eine Person identisch ist mit einem menschlichen Wesen, aber das ist nicht der Fall. Man kann argumentieren, dass es Menschen gibt, die nicht die Kriterien des Personenstatus erfüllen und auch Personen, die nicht Mitglieder der Spezies Homo sapiens sind.

Wenn ein Gericht von Hiasls Personenstatus überzeugt werden kann, dann werde ich seine Interessen verteidigen können, genau wie die Interessen unmündiger Menschen von legalen Vertretern wahrgenommen werden.

Wir sammelten vier Gutachten von Experten mit der Feststellung, dass Hiasl die Kriterien erfüllt, die eine Person ausmachen. Die Aussagen waren von Prof. Stefan Hammer, Professor für Zivilrechte und Verfassungsrecht an der Universität Wien; Prof Eva-Maria Maier, Universitätsprofessorin am Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht an der Universität Wien, Prof Volker Sommer, Professor für evolutionäre Anthropologie am University College London, und Dr. Signe Preuschoft, Biologin und Schimpansenexpertin an der Universität von Zürich, die auch die wissenschaftliche Leiterin des Rehabilitationprojektes der pensionieren Laborschimpansen in Österreich war.

Es gibt ebenfalls spannende Entwicklungen in anderen Teilen der Welt bezüglich eines Personenstatus für nicht menschliche Tiere. Dieses Jahr unterzeichnete das spanische Parlament eine parteiübergreifende Erklärung, die Menschenaffen Grundrechte zugesteht.

EVANA: Was ist der Status dieser berühmten Rechtssache im Augenblick?

Paula: Obwohl alle Gerichte im österreichischen Rechtssystem sich mit der Angelegenheit vom Personenstatus für Hiasl nicht beschäftigten, fanden sie Gründe dafür, den Fall abzuschmettern. Das Höchste Gericht entschied, dass wir kein Recht haben, Vormundschaft für Hiasl zu beantragen und deswegen haben wir Berufung eingelegt beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit dem Argument, dass Hiasl ein faires Verfahren verweigert wurde.

EVANA: Ist Hiasl der einzige Schimpanse, der die Gerichte beschäftigt, oder gibt es andere berühmte Menschenaffen wie ihn auch noch in anderen Teilen der Welt?


Paula: Es gibt viele Kampagnen, die auf die Anerkennung von Personenstatus für nicht-menschliche Primaten hinarbeiten, und viele Wissenschaftler beschäftigen sich mit dem Thema. Dies ist zweifellos ein faszinierender Bereich, den viele Leute als sehr provozierend ansehen! Soweit ich weiss, ist der Fall Hiasl zur Zeit einzigartig.

Ich möchte noch eins klarstellen, worüber sich die Leser sich möglicherweise wegen Hiasls Partnerin Rosi wundern: Rosi ist selbstverständlich genauso wichtig wie Hiasl, schließlich sind die beiden genau in der gleichen Situation. Der augenblickliche Fall befasst sich aber nur mit Hiasl, weil es so für das Rechtssystem und die Medien einfacher ist. Ausserdem können wir, sollten wir im Fall Hiasl nicht erfolgreich sein, ein Verfahren für Rosi starten. Das wäre nicht möglich, wenn wir über das Schicksal beider Schimpansen gleichzeitig verhandelten.

EVANA: Wie ist die Situation für Menschenaffen anderswo? Gibt es bereits Länder, die sie von der Vivisektion ausschließen?

Paula: Schweden, Großbritannien, die Niederlande, Deutschland, Neuseeland und Österreich haben Gesetze, die den Gebrauch von Menschenaffen für Experimente verbieten. Österreich schließt auch andere Affen in dieses Verbot ein. Man muss allerdings betonen, dass obwohl diese Entwicklungen gewaltige und sehr wichtige Meilensteine sind, sie nur Schutz bieten, jedoch keine Änderung des rechtlichen Status.

EVANA: Haben Sie Hoffnung, dass wilde Schimpansen die kommenden Jahrzehnte überleben, obwohl ihr Lebensraum unaufhaltsam zerstört wird und sie in vielen Teilen Afrikas geschlachtet werden? Welche Schutzmassnahmen würden Sie empfehlen?

Paula: Die Einrichtung von Schutzgebieten, in denen Menschenaffen natürlich leben können, scheint mir die einzige Möglichkeit zu sein. Der Anreiz, wertvolles Land für diesen Zweck zu verwenden, würde in einer idealen Situation (die es wohl schon mehrfach gibt) darin bestehen, dass in diesen Reservaten Jobs in einem neuen Zweig von Eco-Tourismus geschaffen werden..

Das Problem von Land und Ressourcen für konkurrierende Gruppen oder Arten scheint mir viel dorniger als Hiasls Situation. Hiasl wurde aus seinem heimischen Afrika entführt in der Absicht, ihn für menschliche Interesse zu benutzen. Er ist ein Flüchtling in unserer Gesellschaft. Unsere Gesellschaft sollte zumindest seine Interessen zu respektieren und erkennen, dass wir eine Verantwortung ihm gegenüber haben.

EVANA: Selbstverständlich können Sie nicht alle unsere nicht-menschlichen Verwandte aus lebensbedrohenden Gefahren retten, aber Sie tun alles, um Hiasl eine sichere Zukunft zu bieten. Was würden Sie sich als Happyend für ihn wünschen?

Paula: Am allerwichtigsten ist, dass er nicht gekauft oder verkauft oder schlicht eingeschläfert werden kann. Ausserdem sollte sein Leben in unserer Umwelt für ihn sicher sein und so anregend und schimpansenfreundlich wie nur irgend möglich. Wir, ich und seine beruflichen Pfleger, investieren viel Mühe auf dem Gebiet. Es könnte die Möglichkeit geben, dass Hiasl (und natürlich auch seine Partnerin) sich irgendwann in der Zukunft einer Gruppe von Schimpansen anschließen können. Zugegeben, das wäre ein riskanter Schritt, der gut ausgehen oder als Katastrophe enden kann. Die Integrierung in eine neue Gruppe erfordert ziemlich gute Sozialfähigkeiten, sogar bei denen, die viele Erfahrung auf dem Gebiet haben und eine «normale» Erziehung.

EVANA: Was sind Ihre nächsten Schritte?

Paula: Wir erwarten den Urteilsspruch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Unsere Berufung Rekurs wurde Anfang des Jahres registriert, aber bis zu einer Entscheidung kann es bis zu zwei Jahren dauern.

EVANA: Was kann man tun, um Ihren Kampf zu unterstützen?


Paula: Wer Hiasl unterstützen will, kann dem europäischen Beauftragten für Menschenrechte, Herrn Thomas Hammarberg, schreiben mit der Bitte, diesen Fall zu verhandeln.
(Informationen wie man mit ihm in Verbindung tritt - auf englisch)

EVANA: Denken Sie, dass die neuen Absichten der EU, Versuche am nächsten Verwandten der Menschen zu verbieten, den Fall Hiasls stärken wird?

Paula: Es hat Kritik gegeben, dass dieser EU-Antrag eine leere Geste ist, weil an Menschenaffen keine Experimente in den Mitgliedstaaten vorgenommen werden. Für mich ist dieses ein typisches Beispiel eines Wechsels der Perspektive, der durch Kampagnen nichtstaatlicher Organisationen angestossen wurde und dann mit der Zeit zu Änderungen in der Rechtssprechung führt. Wir wünschen uns vielleicht eine andere Situation, aber mir erscheint dies ziemlich logisch. Diese Gesetzgebung ist ein wichtiger Garant dafür, dass unsere Gesellschaft nicht umkippt und eines Tages wieder Versuche an Menschenaffen zulässt. Dieses Verbot macht es wahrscheinlicher, dass Hiasls Fall gehört wird. Wenn Versuche an Menschenaffen noch zur Diskussion stünden, wäre es sicher sehr viel schwieriger, den Fall eines Personenstatus für Hiasl ernstzunehmen.

EVANA: Paula, ich bin sicher, dass Hiasl Ihnen danken würde, wenn er um Ihre Bemühungen für ihn wüsste. Gut, er kann diese Gefühle nicht ausdrücken, aber wir können es! Wir möchten Ihnen also danken für alles, was Sie mit so viel Entschlossenheit für ein Volk tun, das unter lebensbedrohendem Druck leidet. Wir wünschen Hiasl und all seinen Freunden, dass sie mit der Zeit den Respekt erhalten, der ihnen schliesslich zusteht.


Source: Weitere Informationen zu diesem Thema
Author: Herma Caelen sprach mit Paula Stibbe im Namen von EVANA - Uebersetzung: Karina Shopova

Link: Bekommt Schimpanse Menschenrechte? Verfahren beim EuGH soll die Causa klären
Link: Grundrechte für Menschenaffe Hiasl
Link: Sachwaltschaftsprozess für Schimpansen Hiasl
Link: Schimpanse bewirft indische Zoobesucher mit Steinen

Date: 2008-12-24